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Interessante neue Entwicklung in der Rechtsprechung des OGH zum Ersatz von Schockschäden

Mag. Julia Steier

Der Tod eines geliebten Menschen ist ohne Zweifel ein traumatisches Ereignis, das tiefe emotionale Erschütterungen und Leiden bei den Hinterbliebenen verursachen kann. Die Rechtsprechung unterscheidet hierbei zwischen Schockschäden mit Krankheitswert, wie beispielsweise Depressionen, und Trauerschmerzen ohne Krankheitswert. Ein Schockschaden liegt demnach vor, wenn eine Person durch das Miterleben eines Unfalls eine psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert erleidet. Die Ersatzfähigkeit eines Schockschadens setzt grundsätzlich voraus, dass der psychisch Beeinträchtigte ein naher Angehöriger des Getöteten oder Schwerstverletzten ist. Als nahe Angehörige gelten etwa der Ehepartner und Lebensgefährte, die Kinder und die Eltern. Der OGH anerkannte in seiner bisherigen Rechtsprechung den Schockschaden aber auch dann, wenn der Geschädigte zwar mit dem Opfer in keiner Nahebeziehung stand, jedoch ganz unmittelbar in das Unfallgeschehen involviert war.

In der vorliegenden Entscheidung 2 Ob 208/23m vom 14.12.2023 befasst sich der OGH nun mit der Frage, ob der Kläger Anspruch auf den geltend gemachten Schockschaden hat, den dieser durch das unmittelbare Miterleben des Unfalltodes seines besten Freundes, mit dem ihn eine „beispiellose, äußerst innige und enge Beziehung“ verband, erlitten hat. Der Kläger befand sich im Jahr 2021 mit einer Gruppe von Freunden auf einer Mopedtour. Aufgrund eines plötzlich auftretenden technischen Problems musste die Gruppe einen Stopp einlegen, bei welchem ein PKW von der Fahrbahn abkam, ungebremst in die Menge fuhr und dabei zwei Personen – darunter der beste Freund des Klägers – getötet wurden. Der Kläger war zum Zeitpunkt der Kollision etwa 50 Meter von der Unfallstelle entfernt, beobachtete jedoch den gesamten Unfallhergang und leistete unmittelbar danach erste Hilfe.

Der OGH bejahte den Anspruch des Klägers auf Ersatz des erlittenen Schockschadens und hielt dazu Folgendes fest: Die Zuerkennung eines Schockschadenersatzes an Dritte, die nicht als nahe Angehörige anzusehen sind, bedarf eines der rechtlichen Sonderbeziehung gleichwertigen Zurechnungsgrunds. Ein solcher muss nicht zwingend in der ganz unmittelbaren Involviertheit in das Unfallgeschehen (etwa als Unfallgegner oder Beifahrer) oder in der Gefährdung der eigenen körperlichen Sicherheit des Schockgeschädigten durch den Schädiger liegen. Erforderlich ist aber jedenfalls, dass der Dritte der Erstschädigung objektiv in gravierender Weise direkt ausgesetzt war. Dies bejahte der OGH im gegenständlichen Fall. Der Kläger sei nicht als bloßer unbeteiligter Unfallzeuge anzusehen. Vielmehr habe er den besonders schrecklichen Unfall aus unmittelbarer räumlicher Nähe zur Gänze mitansehen müssen, sei in weiterer Folge „in Sekunden“ am Unfallort gewesen und habe versucht seinen besten Freund zu retten. Schließlich habe er aber dessen Versterben hautnah miterleben müssen. Daraus folgert der OGH, dass von einer qualifizierten Beteiligung des Klägers am Unfallgeschehen auszugehen ist und der begehrte Anspruch auf Ersatz des Schockschadens zu Recht besteht.

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