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Der Seilbahntatbestand und die UVP-RL

Mag.ᵃ Domnica Zamfirescu

Nach eingehender Prüfung fasste die Wiener Landesregierung am 14. Mai 2024 den Beschluss, dass das Vorhaben „Seilbahn Kahlenberg“ keiner Umweltverträglichkeitsprüfung (im Folgenden UVP) zu unterziehen ist, obwohl das UVP-G seit der letzten Novelle einen Seilbahntatbestand vorsieht.

Die juristisch spannendste Frage, mit der sich die Behörde zu befassen hatte, war die Beurteilung der Unionsrechtskonformität der einschlägigen Übergangsbestimmung. § 46 Abs 29 Z 4 UVP-G 2000 normiert, dass die neuen Tatbestände für Projekte, für die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Novelle, also vor dem 23. März 2023, bereits ein Verwaltungsverfahren anhängig ist, nicht anzuwenden sind. Die Behörde stellte fest, die Projektwerberin habe am 25. April 2016 (im seilbahnrechtlichen Konzessionsverfahren – ein bereits rechtskräftig abgeschlossen und daher wohl nicht mehr anhängiges Verfahren) sowie am 22. März 2023 (im Rodungsverfahren – genau ein Tag vor In-Kraft-Treten der Novelle) beim BMK jeweils einen Antrag gestellt, worauf das BMK ein Feststellungsverfahren eingeleitet hat. Aus diesem Grund sei der neue Seilbahntatbestand des Anhangs 1 Z 10 lit i UVP-G 2000 nicht anwendbar gewesen.
Die UVP-Richtlinie normiert den Seilbahntatbestand in Anhang II unter Z 10 lit h und Z 12 lit a. Nach Rsp des EuGH sind EU-Richtlinien ausnahmsweise unmittelbar anwendbar, wenn ihre Bestimmungen klar und eindeutig sind und der Mitgliedstaat seine Umsetzungsverpflichtungen verletzt hat. Die unmittelbare Wirkung kommt grundsätzlich nur dem Einzelnen zugute, nicht dem Staat selbst (vgl. EuGH Rs C-91/91, Faccini Dori; EuGH, Rs 80/86, Kolpinghuis Nijmegen)​. Im Kontext der UVP hat der EuGH jedoch die objektive unmittelbare Wirkung von Richtlinien anerkannt, selbst wenn die Bestimmungen keine Rechte für Einzelpersonen vorsehen und indirekte Belastungen für diese entstehen (vgl. EuGH, C-431/92, Großkrotzenburg). Vor dem Hintergrund der inzwischen eingestellten Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich wegen nicht fristgemäßer Umsetzung der UVP-RL hatte die Behörde zu beurteilen, ob der Seilbahntatbestand der Richtlinie in diesem Fall unmittelbar anwendbar war.

Der VwGH spricht in ständiger Rsp mit Hinweis auf EuGH-Judikatur, in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat seinen Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Höhe der Schwellenwerte gemäß Art 4 Abs 2 lit b der UVP-Richtlinie überschritten hat, Art 2 Abs 1 und Art 4 Abs 2 lit a und Abs 3 dahingehend unmittelbare Wirkung entfalten, dass
1. zunächst im Rahmen einer Einzelfalluntersuchung zu prüfen ist, ob die betreffenden Projekte möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben und,
2. wenn ja, sodann eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist.
Allerdings tritt eine unmittelbare Wirkung der UVP-RL bei Verstoß gegen die Umsetzungsverpflichtung eines Tatbestandes des Anhang II nicht ein, da die Richtlinie den Mitgliedstaaten einen Ermessensspielraum einräumt, ob diese Projekte überhaupt einer UVP unterzogen werden müssen (s etwa VwGH 24.9.2014, 2012/03/0165). Aus diesem Grund stellte die Behörde keine UVP-Pflicht fest. Anzumerken ist, dass der österreichische Gesetzgeber einen derartigen Tatbestand sehr wohl erlassen hat und grundsätzlich die Behörde an die Rechtslage zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung gebunden ist (vgl etwa VwGH 26.6.2014, 2012/03/0011).

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