Mag. Thomas Ukowitz
In zwei aktuellen fluggastrechtlichen Entscheidungen hatte sich der EuGH mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Entdeckung eines versteckten Konstruktionsfehlers am Triebwerk eines Flugzeugs bzw einer neuartigen technischen Störung bei der Treibstoffanzeige unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne der Verordnung (EG) Nr 261/2004 (EU-Fluggastrechteverordnung) fällt. Im einen Fall wurde das Luftfahrtunternehmen vom Hersteller des Triebwerks mehrere Monate vor dem betreffenden Flug über das Vorliegen eines derartigen Fehlers informiert; im anderen hat der Hersteller des Flugzeugs erst nach der Annullierung des Fluges anerkannt, dass die Störung durch einen versteckten Konstruktionsfehler verursacht wurde.
Zunächst stellt der Gerichtshof klar, dass technische Störungen nur dann außergewöhnliche Umstände bedeuten können, wenn diese ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind.
Eine Störung ist, wie der EuGH ausführt, dann nicht tatsächlich beherrschbar, wenn das Luftfahrtunternehmen nicht über die Kompetenz verfügt, den Fehler ausfindig zu machen und die Störung auf „externe“ Vorkommnisse zurückzuführen ist. Die Offenlegung des Triebwerksmangels/der Störung an der Treibstoffanzeige durch den Hersteller stellen nach Ansicht des Gerichtshofs Handlungen eines in den Flugbetrieb des Luftfahrtunternehmens eingreifenden Dritten und somit Vorkommnisse mit externer Ursache dar.
Der EuGH bejahte daher das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände in beiden Fällen. Auf den Zeitpunkt, zu dem der Zusammenhang zwischen der technischen Störung und dem versteckten Konstruktionsfehler vom Hersteller aufgedeckt wird, kommt es, wie der Gerichtshof deutlich macht, nicht an. Entscheidend ist lediglich, dass der versteckte Konstruktionsfehler zum Zeitpunkt der Annullierung des Fluges vorlag und das Luftfahrtunternehmen über keine Kontrollmittel verfügte, um diesen Fehler zu beheben.
Aus Sicht von Luftfahrtunternehmen ist positiv hervorzuheben, dass der EuGH klar zwischen „normalen“ technischen Störungen und solchen, die aus der Sphäre eines Dritten herrühren und nicht beherrschbar sind, differenziert. Erstere werden nicht als außergewöhnliche Umstände anerkannt, zweitere schon. Der EuGH verhindert somit, dass die Pflichten von Luftfahrtunternehmen überspannt werden.
EuGH 13.06.2024, C‑411/23, D. (Vice de fabrication du moteur)
EuGH 13.06.2024 C‑385/23, Finnair (Vice de conception du réservoir)