Medizinische Notfälle sind außergewöhnliche Umstände

Einen bemerkenswerten Erfolg konnte unser Aviation-Team in einem fluggastrechtlichen Verfahren vor dem Bezirksgericht Schwechat erzielen. Diesem lag die Verspätung eines Fluges von London nach Charlotte (USA) zugrunde, die dadurch bedingt war, dass auf dem Vorflug von Charlotte nach London infolge des Blasensprungs einer schwangeren Passagierin eine außerplanmäßige Landung in New York durchgeführt wurde. Die vollumfängliche Abweisung des Klagebegehrens ist insbesondere deshalb von besonderer Bedeutung, weil die Qualifikation medizinischer Notfälle als außergewöhnliche Umstände im Sinne der Verordnung (EG) 261/2004 (Fluggastrechteverordnung) von österreichischen Gerichten bislang nicht einheitlich judiziert wurde und das erkennende Gericht im gegenständlichen Fall einige verallgemeinerungsfähige Aussagen getroffen hat.

 

So hat das Bezirksgericht Schwechat ausgeführt, dass sich im Fall medizinischer Notfälle von Passagieren an Bord des Luftfahrzeugs ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das der üblichen Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens gerade nicht innewohnt und damit nicht in dessen Risikobereich fällt. Weiters ist dem Urteil in Bezug auf die hoheitlichen Aufgaben des Flugkapitäns zu entnehmen, dass die Einschätzung des Piloten aufgrund der nautischen Entscheidungsgewalt von einem Gericht nur eingeschränkt auf grobe Fehler überprüft werden kann.

Im Rahmen der Prüfung zumutbarer Maßnahmen zur Abwendung der Verspätung, wurde die Möglichkeit der Beischaffung eines Ersatzflugzeugs thematisiert. In diesem Kontext führte das Gericht – unter Verweis auf den in den USA befindlichen Heimatflughafen des beklagten Luftfahrtunternehmens – aus, dass es nicht zumutbar ist, auf allen europäischen Destinationen Ersatzgeräte vorrätig zu halten. Darüber hinaus würde die Bereitstellung eines Ersatzfluggeräts durch eine andere Airline mehrere Stunden Vorbereitungszeit benötigen und wäre aufgrund der damit verbundenen Kosten wirtschaftlich nicht zumutbar.

Abschließend sei eine Randbemerkung des Bezirksgerichts Schwechat erwähnt, in der die Kürzung der Ausgleichsleistung gemäß Art 7 Abs 2 VO (EG) 261/2004 behandelt wird. Diese Bestimmung sieht eine Reduzierung der Ausgleichsleistung um 50 Prozent vor, wenn die Verspätung zwar mehr als drei, aber weniger als vier Stunden beträgt, wobei umstritten ist, ob die Kürzung des Ausgleichsanspruchs ex lege eintritt oder einer aktiven Geltendmachung durch das Luftfahrtunternehmen bedarf. Diese Frage konnte im gegenständlichen Fall grundsätzlich dahingestellt bleiben, weil der Kläger ohnehin lediglich den reduzierten Betrag eingeklagt hatte. Die Ausführungen des Gerichts, wonach im vorliegenden Fall eine Ausgleichsleistung in der Höhe von EUR 300,00 (gekürzter Betrag) zusteht, lassen jedoch den Schluss zu, dass eine ausdrückliche Geltendmachung der Kürzung des Ausgleichsanspruchs durch das Luftfahrtunternehmen nach Ansicht des Gerichts nicht erforderlich ist. Die zukünftige Judikatur zu dieser Auslegungsfrage bleibt mit Spannung zu erwarten.

(Bezirksgericht Schwechat 23.11.2021, 27 C 83/20p) 

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