EuGH zum Artenschutz – Absage an eine differenzierte Auslegung des Begriffs der Absichtlichkeit im Anwendungsbereich von Habitat- und Vogelschutzrichtlinie

Im gegenständlichen Vorabentscheidungsverfahren hatte sich der EuGH mit der Auslegung von Habitat- und Vogelschutzrichtlinie auseinanderzusetzen. Dem Verfahren lagen die Beschwerden zweier schwedischer Naturschutzvereine gegen die Entscheidung der Provinzverwaltungsbehörde Västra Götaland zugrunde. Mit dieser wurde die Genehmigung zur Rodung eines Waldgebiets erteilt, in dem verschiedene Vogelarten sowie der Moorfrosch ihren Lebensraum haben und das von diversen Arten mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Fortpflanzung genutzt wird. 

 

Im Kontext der aufgeworfenen Auslegungsfragen – insbesondere zu dem in Art 5 Buchst a bis d der Vogelschutzrichtlinie sowie in Art 12 Abs 1 Buchst a bis c der Habitatrichtlinie normierten Tötungs- und Störungsverbot – hat Generalanwältin Juliane Kokott in den Schlussanträgen eine innovative und praxisnahe Rechtsauffassung vertreten. Der propagierte Lösungsvorschlag sah eine differenzierte Auslegung der Verbotstatbestände und des Begriffs der Absichtlichkeit der zitierten Bestimmungen vor. Wenn die Beeinträchtigung von Vögeln nicht bezweckt, sondern nur in Kauf genommen wird, sollten die in Art 5 der Vogelschutzrichtlinie normierten Verbote nur soweit gelten, als dies zur Erhaltung des in Art 2 vorgesehenen Erhaltungszustands notwendig ist. (siehe Blogbeitrag zu den Schlussanträgen)

Auf diese praxistaugliche Interpretation folgte mit dem gegenständlichen Urteil die Ernüchterung. Der EuGH erteilte der Differenzierung zwischen Habitat- und Vogelschutzrichtlinie eine klare Absage. Demnach gilt – selbst wenn mit der Tätigkeit ein anderer Zweck verfolgt und die Beeinträchtigung lediglich in Kauf genommen wird – das Tötungs- und Störungsverbot unabhängig davon, ob sich die Maßnahme negativ auf den Erhaltungszustand der betroffenen Art auswirkt. Der Schutz erstreckt sich auch auf Arten, die bereits einen günstigen Erhaltungszustand erreicht haben.

Bezüglich der weiteren Vorlagefragen hat der Gerichtshof in Einklang mit den Schlussanträgen ausgesprochen, dass der Schutzbereich des Art 5 der Vogelschutzrichtlinie sämtliche heimische wildlebende Vogelarten umfasst und nicht auf die in Anhang I genannten Arten beschränkt ist. Darüber hinaus kommt das in Art 12 Buchst d der Habitatrichtlinie statuierte Verbot der Beschädigung oder Vernichtung von Fortpflanzungsstätten unabhängig davon zur Anwendung, ob ein günstiger oder ungünstiger Erhaltungszustand einer Population vorliegt und ob dieser beeinträchtigt wird.  

(EuGH 04.03.2021, C-473/19 und C-474/19)

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